Jeannette sitzt vor der Wand eines Zeltes.

Jeannette Lubira, 40 Jahre

Kongo, 2013

Das Camp Lac Vert bei Goma: 22.500 Vertriebene hausen hier in erbärmlichen Hütten. Gebogene Zweige mit weißen Plastikplanen darüber. Sie halten den Regen ab, mehr nicht. Hütte reiht sich an Hütte. Jede knapp zweieinhalb mal zwei Meter groß. Mehrköpfige Familien leben darin. Nachts liegen die Bewohner nebeneinander wie Sardinen in der Büchse.
Große, schwarze, porige Brocken schichten sich auf dem Boden auf. 2002 brach ein Vulkan aus, jetzt bildet die erstarrte Lava ein Geröllfeld. Die Steine sind scharf und spitz.

Jeanette Lubira sucht sich ihren Weg zwischen dem Geröll. Um es korrekt zu beschreiben: Sie kriecht auf dem Boden, zieht sich mit Händen und Armen vorwärts. Über all die spitzen Steine. Die leblosen Beine zieht sie hinter sich her. Lac Vert ist ein trostloser Ort. Für jeden, der hier lebt, für Menschen mit Behinderung ganz besonders. Das ganze Lager ist eine Welt voller Barrieren. Jeder Gang auf die stinkenden Latrinen ein würdeloses Unterfangen.

Jeannette Lubira hat trotzdem nie aufgehört zu hoffen. Es sind kleine Träume, die sie sich zugesteht. Einen kleinen Stand eröffnen und Kuchen verkaufen. „Ich kann gut backen, lesen und rechnen. Was brauche ich mehr“, sagt sie. „Einen Rollstuhl natürlich“, fügt sie schnell an. Dann würde es vielleicht wirklich mit dem Stand klappen. Auf jeden Fall müsste sie nicht mehr über den Boden kriechen. „So haben die Menschen doch höchsten Mitleid mit mir. Es schmerzt, wenn man unterschätzt wird.“

Handicap International hat in drei Lagern bei Goma die Arbeit aufgenommen, bildet Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten als Trainer für Angehörige aus, bietet psychologische Unterstützung und schafft Anlaufstellen für Menschen mit Behinderung, damit diese ihre Rechte einfordern können.

„Es kann nicht sein, dass ein Mensch mit einer Gehbehinderung keine Nahrungsmittelration bekommt, weil er es nicht zum Verteilungs- und Registrierungspunkt schafft“, erklärt Handicap International Mitarbeiterin Aurelie Viard. Jeanette Lubira ist nicht die einzige in den Lagern von Goma, die kriechen muss, um Stück für Stück vorwärtszukommen.

„So haben die Menschen doch höchstens Mitleid mit mir. Es schmerzt, wenn man unterschätzt wird.“

Diese Geschichte ist Teil unserer Wanderausstellung barriere:zonen. Die Ausstellung können Sie gerne ausleihen und mithelfen, diese Geschichten und ihre starken Botschaften zu verbreiten. Gerne kommt der Autor Till Mayer zu einem Vortrag.

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Hintergrund

(Stand: 2013) In den Konfliktgebieten des Kongo (DR) sind Hunderttausende Opfer von Vergewaltigung und Verstümmelung auf der Flucht. Viele stranden in den Lagern von Goma. Für Kriegsversehrte gibt es selbst hier kaum Hilfe. Es fehlen Rollstühle, Gehstützen, Prothesen. Seit 30 Jahren steht Goma für das Elend von Menschen, die vor Krieg und Kämpfen fliehen. Mitte der Neunziger waren es Flüchtlinge, die aus dem benachbarten Ruanda kamen. Dann strömten die Inlandsvertriebenen hierher, die vor den Gefechten zwischen Milizen und Regierungstruppen, vor Mord und Massenvergewaltigungen flohen. Anfang 2014 befanden sich laut Schätzungen rund 200.000 Vertriebene in Goma. Die Demokratische Republik Kongo ist reich an Bodenschätzen. Der Kampf um sie ist für die Menschen zum Fluch geworden. Seit Jahrzehnten fordern grausame Konflikte immer neue Menschenleben. Benachbarte Staaten wie Uganda und Ruanda sollen Konfliktparteien unterstützen, europäische Konzerne haben ebenso ihre Interessen.

Die gesamte Geschichte mit noch mehr Bildern und in voller Länge finden Sie auf Spiegel Online.

So unterstützt Handicap International

Das Leben in einem Flüchtlingslager ist für niemanden einfach, aber für Menschen mit Behinderung, wie Jeanette Lubira, ist es nochmal besonders herausfordernd. Seit der Gründung von Handicap International im Jahr 1982 sind Reha-Leistungen für Menschen mit Behinderung eine zentrale Aufgabe. Fachkräfte werden vor Ort ausgebildet und nutzen lokal verfügbare Materialien, Kompetenzen und Infrastrukturen. Hilfsmittel wie zum Beispiel Prothesen, Orthesen, Rollstühle oder Hörgeräte sowie psychosoziale Unterstützung helfen den Betroffenen wieder selbstständig ins Leben zurückzufinden.