Osama sitzt in seinem Rollstuhl und lächelt in die Kamera, hinter ihm steht sein Freund Meydan.

Osama, 34 Jahre

Libanon/Syrien: 2016

Der Besuch schmerzt. Wie jedes Mal, wenn Osama mit seinem verbeulten Kia knirschend auf dem Schotter vor den Flüchtlingsbehausungen hält. Ein halbes Dutzend Hütten, hastig zusammengenagelt aus Balken, Brettern und Plastikplanen. Windschief stehen sie am Rand einer staubigen Straße, irgendwo auf einer Wiese im Bekaa-Tal.

Osama hasst den traurigen Anblick. Dann sieht er durch das Seitenfenster in ein breites und bekanntes Grinsen, das schon fast auf der Scheibe klebt. Osama kann sich ein Lächeln nicht verkneifen: Meydan hat schon den Rollstuhl aus dem Kofferraum geholt, aufgeklappt und bereitgestellt.

Osama, 34, und Meydan, 39, haben das gleiche Schicksal. Raketeneinschläge veränderten das Leben der beiden Männer aus Syrien für immer. In Osamas Rücken stecken immer noch Splitter, er ist querschnittgelähmt. Auf den ersten Blick hatte Meydan wohl mehr Glück. Die Schrapnelle aus seinem Bein konnten entfernt werden, er kann wieder gehen. Doch zwei seiner Brüder überlebten den Angriff nicht. Als Meydan im Libanon ankommt, ist er schwer an Körper und Seele verwundet. „Ich habe mich geschämt, dass meine Brüder gestorben sind, aber nicht ich. Osama hat mir damals geholfen.“

Osama, der so gut zuhören kann. Der sich jeden Satz genau überlegt, bevor er spricht. Der ein aufmunterndes Lächeln schenkt. Selbst, wenn er Sekunden später kurz vor Schmerzen ächzt. Weil sich der Krieg in seine Muskeln, Sehnen und Nervenbahnen gefressen hat. Dabei hätte Osama allen Grund, selbst zu verzweifeln. Früher lief alles so gut für ihn. Mit 22 Jahren startet er nach dem Studium in einem Vorort von Damaskus eine kleine Firma. 25 Handwerker arbeiten für ihn. Selfmade-Mann Osama schreibt seine Erfolgsgeschichte, 2013 macht sie der Bürgerkrieg zunichte.

„Haus, Werkstatt und Maschinen sind zerstört“, sagt Osama schlicht. Er erzählt, wie seine Familie zu einem Onkel nahe der Grenze auf libanesischer Seite flüchtet. Er muss rasch lernen, mit seiner Behinderung zu leben. „Ich wollte meinen Kindern weiterhin ein Vorbild sein und meiner Frau ein guter Mann. Und ich habe eine Chance gehabt“, sagt Osama. Die Chance ist die Werkstatt seines Onkels. Osama bringt sein Knowhow ein. Er führt die Buchhaltung und hilft an den Maschinen. Mit Erfolg. Bis zu 15 Menschen arbeiten jetzt bei guter Auftragslage in dem Familienbetrieb, mehr als doppelt so viele wie früher.

Osama will helfen. Darum engagiert er sich in einer Selbsthilfegruppe, ist Mutmacher und Zuhörer für Menschen, die wie Meydan drohen, an ihrem Trauma zu zerbrechen. „Ich habe einen wunderbaren Freund gewonnen, ist das nicht ein schöner Lohn?“, fragt der 34-Jährige.

„Ich habe einen wunderbaren Freund gewonnen, ist das nicht ein schöner Lohn?“

 

Diese Geschichte ist Teil unserer Wanderausstellung barriere:zonen. Die Ausstellung können Sie gerne ausleihen und mithelfen, diese Geschichten und ihre starken Botschaften zu verbreiten. Gerne kommt der Autor Till Mayer zu einem Vortrag.

Wanderausstellung ausleihen
Weitere Portraits anschauen

Hintergrund

(Stand 2016) Jeder vierte Bewohner des Libanon ist ein Mensch, der vor Gewalt und Konflikt geflohen ist. Eine gewaltige Herausforderung für den Libanon, der auf der Suche nach Stabilität immer noch die Folgen und Ursachen eines Bürgerkriegs überwinden muss. Seit 2011 dauern die Kämpfe in Syrien mittlerweile an und zwangen bisher 1,2 Millionen Menschen, in den Libanon zu fliehen. Unter ihnen befindet sich eine wachsende Zahl von besonders schutzbedürftigen Menschen. Laut einer im April 2014 im Libanon und in Jordanien durchgeführten Studie von Handicap International in Zusammenarbeit mit HelpAge International, weisen 5,7% der Flüchtlinge, d.h. mehr als 90.000 Menschen, schwere Verletzungen auf. Drei von vier Verletzungen führen aufgrund ihrer Schwere und fehlender medizinischer Versorgung zu einer dauerhaften Behinderung.

Die gesamte Geschichte mit noch mehr Bildern und in voller Länge finden Sie auf Spiegel Online.

So unterstützt Handicap International

Osama musste aus Syrien fliehen, nachdem sein Leben durch einen Raketeneinschlag erschüttert worden war. Explosivwaffen (Granaten, Raketen, improvisierte Sprengsätze und Streubomben usw.) töten und verstümmeln. Über 90 Prozent der Opfer stammen aus der Zivilbevölkerung – und das, obwohl der Einsatz von Explosivwaffen in bevölkerten Gebieten (EWIPA) durch das Völkerrecht verboten ist. Handicap International setzt sich dafür ein, dass das Völkerrecht und der besondere Schutz, unter dem die Zivilbevölkerung steht, mehr geachtet wird und die Betroffenen der explosiven Kriegsreste unterstützt werden.

Zusammen mit INEW beteiligten wir uns aktiv an dem diplomatischen Prozess zur Ausarbeitung einer politischen Erklärung, die dem besseren Schutz der Zivilbevölkerung vor dem Einsatz von EWIPA dienen soll. Die politische Erklärung wurde bei einer offiziellen Unterzeichnungskonferenz in Dublin am 18. November 2022 bereits von vielen Staaten angenommen und beinhaltet wesentliche Forderungen von HI und INEW: So werden die humanitären Auswirkungen von Explosivwaffen erstmals anerkannt und klare Verpflichtungen für die Staaten zur Opferhilfe, zur Räumung von Kampfmittelrückständen und zur Risikoaufklärung genannt.

Streubomben, die auch im Krieg in Syrien eingesetzt wurden, können nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden. Streubomben sind Behälter, die viele kleine Geschosse über eine breite Fläche verteilen. Sie können vom Boden abgeschossen oder aus der Luft abgeworfen werden. Beim Aufprall explodieren oft nicht alle Geschosse und bleiben als Blindgänger liegen, weshalb die meisten Opfer aus der Zivilbevölkerung stammen. Handicap International unterstützt die Überlebenden dieser menschenverachtenden Waffen und setzt sich für ihre Räumung und weltweite Ächtung ein.