Ali Eid mit geschlossenen Augen vor einer Wellblechwand.

Ali Eid, 30 Jahre

Somaliland/Somalia: 2021

Es kam wie von heiterem Himmel. Feuer auf der Haut. Ali Eid sah die Flammen deutlich, spürte die Glut, die sich ins Fleisch fraß. Aber nur er sah es. Er riss sich die Kleider vom Leib und rannte. Quer durch das Hüttengewirr. Als sich der junge Mann beruhigt hatte, da brachten ihn seine Mutter und sein Bruder zum Heiler. Der machte ihm eine Salbe gegen das „Feuer“ auf seiner Haut. Der nächsten Schub kam wenige Tage später mit voller Wucht. Der 30-Jährige war so außer Rand und Band, schrie so verzweifelt, dass seine Familie ihn an einen Baum kettete.

Ali und seine Familie sind Klimaflüchtlinge. Nomaden, deren Herden bei einer der immer länger andauernden Dürren verendeten. Heute lebt die Familie am Rand von Hargeisa in einem Camp mit anderen, die das gleiche Schicksal teilen „Wir mussten nach Hargeisa, damit wir wenigstens Lebensmittel und Wasser bekommen, um nicht zu sterben“, sagt Ali Eid.

Im Camp verschlechtert sich der Zustand von Ali Eid. Die Versorgung der Tiere, seine Aufgaben in der Familie, alles ist weggefallen. Er wird depressiv, die Schübe kommen immer schneller. Nicht einmal im Freien an einen Baum kann seine Familie ihn jetzt noch ketten. Ali Eid ist im Camp als „Besessener“ stigmatisiert. „Sogar mit Steinen haben einmal Kinder nach mir geworfen“, sagt Ali Eid. Also fesselt ihn seine Familie in der Hütte, wenn sich sein Zustand verschlechtert.

Aber es geht anders: Ali Eid kommt in ein Programm von Handicap International. Er wird medikamentös eingestellt. Zum ersten Mal hört Ali Eid den Namen seiner Krankheit: Schizophrenie. Die Medikamente wirken. Ali Eid arbeitet als Tagelöhner. Mit seinem Fleiß gewinnt er den Respekt der Campbewohner. „Psychisch kranke Menschen sind nicht unheilbar. Sie können ihren Weg gehen. Schließt sie nicht aus“, das ist seine Botschaft. Er sagt sie mit viel Mut bei der Camp-Versammlung.

„Es ist ein gutes Gefühl, sein eigenes Geld zu verdienen, anerkannt zu sein, der Familie zu helfen“, sagt Ali Eid. Langsam wagt er sogar zu träumen. Eine Frau zu finden, eine eigene Familie zu gründen. Ali Eid spricht das nur kurz an. Ganz schüchtern, leise, nebenbei in zwei, drei kurzen Sätzen.

Wenige Tage nach dem Interview starb Ali Eid unerwartet. Die Todesursache ist unbekannt, eine Obduktion fand nicht statt.
Die Familie ist mit der Veröffentlichung seiner Fotos und des Textes einverstanden.

„Psychisch kranke Menschen sind nicht unheilbar. Sie können ihren Weg gehen. Schließt sie nicht aus.“

Diese Geschichte ist Teil unserer Wanderausstellung barriere:zonen. Die Ausstellung können Sie gerne ausleihen und mithelfen, diese Geschichten und ihre starken Botschaften zu verbreiten. Gerne kommt der Autor Till Mayer zu einem Vortrag.

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Hintergrund

(Stand 2021) Rund um Hargeisa, Hauptstadt der selbsternannten Republik Somaliland, stranden völlig mittellose Klimaflüchtlinge. Nomaden, deren Tiere bei Dürren verendet sind. Immer mehr Menschen teilen dieses Schicksal in der Region. Ein hartes Umfeld für psychisch erkrankte Menschen. Nicht selten ketten Familien sie aus Hilflosigkeit an einen Baum. Kinder warfen Steine auf die „Besessenen“. Doch es geht auch anders.

So unterstützt Handicap International

Der 30-jährige Ali Eid aus Somalia hat Schizophrenie und hat regelmäßig psychotische Schübe. Er und seine Familie sind Klimageflüchtete und leben in einem Flüchtlingscamp am Rande von Hargeisa, Somaliland. Ali Eid erhielt von Handicap International psychosoziale Unterstützung. So konnte er wieder arbeiten und damit seine Familie unterstützen. Erdbeben, Stürme, Dürren, Kriege – im Katastrophenfall haben es Menschen mit Behinderung besonders schwer, an Nahrung und Hilfe zu gelangen. Sie werden bei der Planung von Nothilfe-Einsätzen oft schlichtweg übersehen. Handicap International leistet spezialisierte Hilfe und Vorsorge, um genau diese Menschen zu unterstützen.