Zynowiy blickt in die Kamera.

Zynowiy Kyryk, 51 Jahre

Ukraine: 2013

Zynowiy Kyryk geht zu seiner Wohnzimmervitrine, um das Fotoalbum zu holen. Dutzende von Schwarz-Weiß-Bildern erzählen darin von seinen zwei Jahren an der Front in Afghanistan. Der 51-Jährige braucht ein wenig länger, um das Album aus dem betagten Wohnzimmerschrank zu ziehen. Sein Schritt ist nicht mehr fest, und die linke Hand ist zusammengekrümmt wie nach einem Schlaganfall. Schuld sind die Granatsplitter, die die Feldärzte übersehen hatten. Sie sind in drei Jahrzehnten tiefer in das Gehirn gewandert.

Schon am Anfang seines Kampfeinsatzes im Afghanistan erwischt es ihn. Als er wieder stark genug ist, ein Gewehr zu halten und abzufeuern, schicken ihn die Ärzte der Roten Armee zurück an die Front. Auf einem der letzten Bilder im Album steht er mit den Kameraden am Stacheldrahtzaun des Camps. Alle blicken über ihn hinweg in die Ferne, in die Zukunft, die Hände schützend über der Stirn. Ein alter Brauch am letzten Abend im Lager.

Veteran Kyryk ist 22 Jahre alt, als er nach Hause ins ukrainische Lviv zurückkehrt. Es gibt kein Camp, keinen Stacheldraht mehr, aber neue Barrieren. Bald werden die verbliebenen Splitter in seinem Kopf aus ihm einen Kriegsversehrten machen, der nicht mehr arbeiten kann.

Der Veteran bringt sein Album zur Vitrine zurück, verstaut es sorgfältig hinter der Glastür. Die Zeitreise hat ihn mitgenommen. „Was wir Veteranen wollen, ist Respekt. Viele von uns haben Unmenschliches überstanden“, erklärt er. Zynowiy Kyryk wünscht sich keine Paraden, sondern dass die jüngeren Menschen in seinem Land versuchen zu verstehen, was mit den Veteranen geschehen ist. Respekt? Der Staat gewährt ihm eine Invalidenrente, bei der ein Stück Wurst im alters­schwachen Kühlschrank schon ein Luxus ist. Der Gesundheitszustand des 51-Jährigen hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. Er braucht jetzt teure Medikamente, um zu überleben. Die finanziert ein Fonds des DRK-Landesverbandes „Badisches Rotes Kreuz“, den Spenderinnen und Spender aus Deutschland ermöglicht haben. „Ohne diese Hilfe wäre Herr Kyryk wohl schon gestorben“, meint Chef-Schwester Iryna Walko vom Roten Kreuz aus Lviv (Lemberg).

Zum Abschied zeigt Zynowiy Kyryk noch ein Bild von seinem persönlichen Helden. Es ist einer der Vorsitzenden des Veteranenverbands der Region. „Er setzt sich sehr für seine Kameraden ein. Er hat einen guten Beruf ergriffen und eine Familie gegründet“, sagt er. Und freut sich für einen Menschen, der eine Chance ergriff, die er nie bekommen hat.

„Was wir Veteranen wollen, ist Respekt. Viele von uns haben Unmenschliches überstanden.“

Diese Geschichte ist Teil unserer Wanderausstellung barriere:zonen. Die Ausstellung können Sie gerne ausleihen und mithelfen, diese Geschichten und ihre starken Botschaften zu verbreiten. Gerne kommt der Autor Till Mayer zu einem Vortrag.

Wanderausstellung ausleihen
Weitere Portraits anschauen

Hintergrund

(Stand 2014) Mit der militärischen Intervention der Sowjetunion 1979 und einem kommunistischen Staatstreich 1978 begann in Afghanistan eine lange Folge von Konflikten und Kriegen, die bis heute Millionen das Leben kostete. Ein stabiler Frieden ist nicht in Sicht. Das verlustreiche militärische Engagement beschleunigte auch den Niedergang der Sowjetunion. Für die Ukraine als ein Nachfolgestaat ist der Afghanistan-Krieg ein ungeliebtes Erbe. Obwohl Zehntausende ihrer Bürger als ehemalige Frontkämpfer betroffen sind, oft körperlich und seelisch versehrt sind, fand kaum eine gesellschaftliche Auseinandersetzung statt. Ein Grund liegt in den oft unstabilen politischen Verhältnissen des jungen Staats.

Die gesamte Geschichte mit noch mehr Bildern und in voller Länge finden Sie auf Spiegel Online.

So unterstützt Handicap International

Zynowiy Kyryk aus der Ukraine hat zwei Jahre an der Front in Afghanistan gekämpft, seitdem ist der Veteran aufgrund schwerwiegender Verletzungen auf fremde Hilfe angewiesen. Die Menschen, die Handicap International unterstützt, sind das Herzstück der Arbeit der humanitären Organisation. Ihr Wohlergehen ist die größte Aufgabe und Motivation für die Mitarbeitenden von HI. Mit der Hilfe der Spender*innen können Menschen mit Behinderung in über 400 Projekten in rund 60 Ländern von Handicap International unterstützt werden.